Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

Presseinformationen

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen

31/2020: Gedenkstätte und Opferverband haben heute an die Einrichtung des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen vor 75 Jahren erinnert

30. August 2020

Nr.: 31/2020

Mit einer Gedenkveranstaltung und einer Kranzniederlegung wurde am heutigen Vormitttag in der Gedenkstätte Sachsenhausen an die Einrichtung des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen vor 75 Jahren erinnert. Am Gedenkort auf dem Friedhof am ehemaligen Kommandantenhof, wo mehr als 7.000 Opfer des Speziallagers in Massengräbern ruhen, konnten sich auf Einladung der Gedenkstätte und der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V. wegen der Corona-Pandemie lediglich 120 Gäste versammeln, unter ihnen Ministerpräsident Dietmar Woidke und die Parlamentspräsidenten aus Brandenburg und Berlin, Ulrike Liedtke und Ralf Wieland, sowie acht ehemalige Inhaftierte und zahlreiche Angehörige.

In seiner Ansprache sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke: „Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung an das Speziallager Sachsenhausen wach zu halten. Dabei kommt es darauf an, die Sensibilität für die dort begangenen Verbrechen und das Unrecht zu schärfen. Viel zu lang wurden die sowjetischen Speziallager nur als angemessene Antwort auf die von Deutschen verübten unvorstellbaren NS-Verbrechen dargestellt. Zu den Opfern gehörten aber auch viele Unschuldige. Noch immer fällt es einigen schwer, stalinistische Verbrechen auch als solche zu benennen.

Damit wird in keiner Weise deutsche Schuld und Verantwortung für den monströsen NS-Terror relativiert. Das Menschheitsverbrechen Holocaust ist singulär.

Der unermüdlichen Kraft der Zeitzeugen und der engagierten wissenschaftlichen Arbeit verdanken wir, dass die Erinnerung an das Speziallager Sachsenhausen heute einen festen Platz in unserer Erinnerungskultur hat. Lassen wir nicht zu, dass Rechtspopulisten und Rechtsextremisten mit ihrem Ruf nach Umkehr der Erinnerungskultur Gehör finden, dass Schicksale und Opfer gegeneinander aufgerechnet werden. Wir brauchen eine Gesellschaft, die ihren Blick dafür schärft, welche Lehren der Vergangenheit heute demokratiefördernd und friedenserhaltend sind.“

Stiftungsdirektor Axel Drecoll sagte: „Wir erinnern heute, 75 Jahre danach, an die Gründung des Speziallagers Sachsenhausen, wo von 1945 bis 1950 mehrere zehntausend Gefangene inhaftiert waren und tausende Menschen durch die extremen Haftbedingungen, durch Hunger und Krankheiten, umkamen. Acht ehemalige Inhaftierte sind heute gekommen, um ihre Erlebnisse mit uns zu teilen. Für diese Bereitschaft sind wir ausgesprochen dankbar.

Die historische Aufarbeitung der Geschichte der Speziallager ist weiterhin elementar. Die Lager waren von heterogenen Häftlingsgesellschaften geprägt. Menschen wurden aufgrund politischer Säuberungsmaßnahmen und ohne jedes Verfahren inhaftiert, zu den Gefangenen gehörten aber auch Täter und Funktionsträger des NS-Staates. In Sachsenhausen waren zudem sowjetische Staatsbürger eingesperrt.

Über die meisten Gefangenen wissen wir allerdings wenig. Die Gedenkstätten Sachsenhausen und Buchenwald haben daher Forschungsanträge eingereicht, um die eklatanten Wissenslücken zu schließen. Auf der Grundlage dieser neuen Erkenntnisse soll anschließend die 2001 eröffnete Dauerausstellung zur Geschichte des Speziallagers in Sachsenhausen erneuert werden.“

Joachim Krüger, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V., sagte: „Auch 75 Jahre danach wollen wir erinnern an das Schicksal der vielen Tausend in den Speziallagern Internierten und von Militärtribunalen Verurteilten, an die unmenschlichen Haftbedingungen, ihre Rechtlosigkeit und die Willkür, die sie, zum Schweigen verurteilt, jahrelang ertragen mussten. Wir erinnern an die vielen Tausend Menschen, die angesichts dieser menschenunwürdigen Zustände zu Tode kamen und jämmerlich verscharrt wurden: Wir dürfen und wir wollen keinen einzigen Unschuldigen von ihnen vergessen!

Wir wollen zugleich daran erinnern, dass vor 70 Jahren, als 1950 das Speziallager Sachsenhausen aufgelöst wurde, für rund 5.500 Häftlinge der Leidensweg in Gefängnissen der DDR weiterging und alle Überlebenden lebenslange traumatisierende Haftschäden davon getragen haben.“

Karl-Wilhelm Wichmann, ehemaliger Häftling des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen, sagte: „Obwohl ich 1990 rehabilitiert wurde, stehe ich hier ohne Hass. Hassen kann ich nur die, die aus Gier nach Reichtum und Macht über Leichen gehen. Ich habe die Hölle des Krieges und eine schreckliche Zeit danach erlebt. Möge unseren Enkeln und Urenkeln so etwas erspart bleiben.“

Drei Monate nach seiner Verhaftung in Greifswald wurde Karl-Wilhelm Wichmann (Jahrgang 1928) am 27. Juni 1946 wegen antisowjetischer Äußerungen von einem Sowjetischen Militärtribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt. Vom Speziallager in Torgau kam er im Sommer 1948 ins sowjetische Speziallager in Sachsenhausen. Am 25. Januar 1950 wurde er an die DDR übergeben und am 17. Januar 1954 aus dem Gefängnis in Torgau entlassen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärte anlässlich der Gedenkfeier: „Die Geschichte der sowjetischen Speziallager ist in der breiten Öffentlichkeit auch heute noch wenig bekannt. Deshalb ist es umso wichtiger, an das dort verübte Unrecht und an das Leid der damaligen Häftlinge zu erinnern. Die Gedenkstätte Sachsenhausen leistet - nicht zuletzt mit der heutigen Gedenkveranstaltung - hierfür einen wesentlichen Beitrag, mit dem wir den wenigen noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zusichern: Das Schicksal der Opfer wird nicht vergessen!“

Anstelle der ursprünglich geplanten weiteren Veranstaltungen, die wegen der Pandemie nicht stattfinden können, wurde heute auf der Homepage der Gedenkstätte ein umfangreiches Online-Programm in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Russisch) freigeschaltet. Neben einem Porträtfilm über den ehemaligen Speziallager-Häftling Reinhard Wolff sind dort weitere Statements von Zeitzeugen sowie von internationalen Wissenschaftlern zur Geschichte und Nachgeschichte des Speziallagers zu sehen. In einem Feature wird eine Tanzperformance vorgestellt, bei der sich die Tänzerin und Choreografin Johanne Timm mit dem Haftschicksal ihres Großvaters auseinandersetzt. Eine Zusammenfassung der Gedenkveranstaltung wird ebenfalls zeitnah verfügbar sein.

Im Zuge der Verlegung des sowjetischen Speziallagers Nr. 7 von Weesow (bei Werneuchen) kamen am Abend des 16. August 1945 mehr als 5.000 von der Haft geschwächte Häftlinge nach einem Fußmarsch von rund 40 Kilometern in den Baracken des ehemaligen KZ Sachsenhausen an. Der Jahrestag der Ankunft der ersten Inhaftierten in Sachsenhausen wird von den ehemaligen Häftlingen und ihren Angehörigen seit Anfang der 1990er Jahre als Gedenktag für die Opfer des Speziallagers begangen.

Insgesamt inhaftierte der sowjetische Geheimdienst NKWD bis zur Auflösung des Lagers im Frühjahr 1950 rund 60.000 Menschen in den Speziallagern Weesow und Sachsenhausen, von denen 12.000 an Hunger und Krankheiten starben. Im Lager waren vorwiegend untere Funktionäre des NS-Regimes, aber auch Mitarbeiter aus Verwaltung, Polizei, Justiz und Wirtschaft sowie SS-Personal aus den Konzentrationslagern inhaftiert. Unter den Häftlingen befanden sich außerdem politisch Missliebige und willkürlich Verhaftete sowie von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilte - Männer und Frauen, Alte und Junge, NS-Belastete und Unbelastete.

 

Die Veranstaltungen werden durch die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Staatskanzlei des Landes Brandenburg gefördert.

 

Information: www.sachsenhausen-sbg.de
 

Presseinformation als PDF
 

Verantwortlich:
Dr. Horst Seferens | Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
16515 Oranienburg | Heinrich-Grüber-Platz | T +49 3301 810920 | F +49 3301 810926
seferens@stiftung-bg.de | www.stiftung-sbg.de


Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wird vom Ministerium des Landes Brandenburg und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

Zurück zur Übersicht